14.09.2019

Mit dem Fahrrad

zur Automobilausstellung


Zielgruppe: Jgst. 9–Q4 | von Uli Hraský

»Warum machen die das?« – Das Mädchen stand plötzlich neben mir und schaute sich den Protestzug an. Es war zusammen mit seiner Mutter aus einem Sportwagen gestiegen. Da ich kurz zuvor mit meinem Rad die Straße abgesperrt hatte, gab es für die beiden und eine stetig wachsende Zahl nachfolgender Autofahrer kein Durchkommen mehr. »Wie lange wird es dauern?«, fragte die Mutter. »Schwer zu sagen, vielleicht 20 Minuten.« Meine Antwort basierte auf den Erfahrungen der letzten Kilometer, doch die Zahl der Radfahrer/innen, die sich in den Protestzug einreihten, nahm in kaum vorstellbarem Maß zu. – Frankfurt, Innenstadt, früher Nachmittag.

Gestartet war ich um 8:04 Uhr in Fulda. Als ich einstieg, war das Radabteil des Regionalzugs bereits gefüllt und die bunten Fahnen, Pappschilder und ein Megafon signalisierten, dass auch diese Radler/innen vor der Automobilausstellung in Frankfurt gegen eine anachronistische Form von Individualverkehr protestieren wollten. Die meisten waren organisiert, im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, bei RADikal oder der Verkehrswende Fulda. Eine ADFC-Radlerin leitete dann auch die Tour von Gelnhausen nach Frankfurt, welche wiederum Teil einer Sternfahrt zur Automobilausstellung war. In Gelnhausen startete eine überschaubare Gruppe von Radler/innen, doch an jedem Zwischenhalt warteten weitere, die sich friedlich, entspannt und umsichtig in den Verband einreihten. Das Radeln über von der Polizei gesperrte zweispurige Schnellstraßen erinnerte mich an die autofreien Sonntage meiner Kindheit, die vor dem Hintergrund des Klimawandels durchaus eine Neuauflage verdient hätten.

Je näher wir Frankfurt kamen, desto weniger war die Gruppe aus Gelnhausen in der Masse auszumachen. Auch die Motivation der Teilnehmer wurde immer vielfältiger: Familienausflug, Bühne zur Selbstdarstellung, Event – eine gesellschaftliche Bewegung wird immer aus ganz unterschiedlichen Quellen gespeist und wir konnten sehen, dass dies sehr harmonisch und mit den eigentlichen Zielen durchaus vereinbar geschehen kann bzw. für diese sogar förderlich ist.

Da ich für das Sperren von Straßen zuständig war, stand ich zudem hautnah in Kontakt mit den wartenden Autofahrer/innen und Passanten: Begeistertes Klatschen, Zustimmung, genervte Bemerkungen und offene Ablehnung – auch hier ein Spiegel der Gesellschaft, wobei das Verständnis im Gespräch oft wuchs.

»Aber das Auto ist viel bequemer«, sagte das Mädchen, nachdem wir uns einige Minuten über die problematischen Aspekte des Autoverkehrs unterhalten hatten. Der Frau war die Bemerkung ihrer Tochter offenbar etwas peinlich, zumal weder ihre Kleidung noch ihr Auto in diesem Moment die gewohnte symbolische Wirkung entfalten konnten. Vielleicht ein Vorgeschmack auf das, was gerade als »SUV-Scham« bezeichnet und von vielen beinahe angstvoll als unnötig abgetan wird. Es waren mittlerweile über 40 Minuten vergangen, in denen ein nicht enden wollender Protestzug an uns vorübergerollt war. 18000 Radfahrer/innen – so eine spätere Schätzung, doch das unmittelbare Erleben war deutlich eindrucksvoller als diese Zahl. Man konnte sich in diesem Moment leicht vorstellen, dass eine Verkehrswende gelingen kann. Die Frau, die sich mit ihrer Tochter mittlerweile wieder in ihren Sportwagen zurückgezogen hatte, ahnte offenbar auch, dass sich dessen Status-Versprechen demnächst in saubere Luft auflösen könnte.

Schräg neben dem Tyrannosaurus Rex vor dem Senkenberg-Museum traf ich schließlich die anderen Fuldaer Radler/innen wieder, ein kleines Grüppchen inmitten von Tausenden. Obwohl ich die meisten erst seit etwa acht Stunden kannte, fühlte ich mich mit ihnen bereits verbunden. Auf unserem Weg von den Saurierplastiken zur Automobilausstellung musste ich unwillkürlich daran denken, dass die dort beworbenen Ungetüme bald ebenfalls ausgestorben sein könnten. Bedauern würde ich das nicht.

Die Fahrrad-Demo am 14.09.2019 war für mich in mehrfacher Hinsicht eine Bestärkung: Die vielen ähnlich denkenden Menschen machten Mut, insbesondere für die Zeit, in der man allein gegen »Windmühlen« zu radeln scheint. Ihre Freundlichkeit, ihr Verantwortungsbewusstsein während der Demo und die gegenseitige Wertschätzung zeigten mir ferner, dass mit unserer Gesellschaft durchaus noch zu rechnen ist.


Vielleicht motivieren dich diese Schilderungen, ähnliche Erfahrungen und Ermutigungen aktiv zu suchen. Die Fridays-for-Future-Bewegung bietet dazu genauso Gelegenheiten wie der nächste Protest für eine intelligentere Form von Mobilität oder Energieversorgung.