24.10.2018 | Die Erinnerung an und die Aufarbeitung der DDR-Geschichte stand und steht oftmals hinter der Beschäftigung mit dem sperrigen Erbe des Nationalsozialismus zurück. Der Vorsitzende der „Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur“, Markus Meckel, beklagte im Oktober 2018 eine westdeutsche Ignoranz in Bezug auf die Geschichte der DDR. Sie werde im Westen nach wie vor weitgehend als Regionalgeschichte des Ostens angesehen, mit der man als Westdeutscher wenig zu tun habe.

In diesem Zusammenhang kennen wir seit den 2000er-Jahren auch das Phänomen der stetig zunehmenden „Ostalgie“: In Spielfilmen, Fernsehshows und anderen Darstellungen wird die DDR auf Trabi-Autos, Ampelmännchen, Freikörperkultur und Spreewaldgurken reduziert. Parteiabzeichen, NVA-Uniformen und FDJ-Hemden zählen in Berlin zu den gern gekauften Souvenirs von Touristen aus nah und fern. Das Leben in der DDR wird als liebenswertes Kuriositätenkabinett dargestellt und häufig auch wahrgenommen, zumal die junge Generation den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden nur noch vom Hörensagen kennt und sie die historisch gewachsene freiheitlich-demokratische Grund-ordnung, in die sie hineingeboren wurde, oft als Selbstverständlichkeit begreift. Bei vielen älteren Ostdeutschen fungiert „die gute alte Zeit“ auch als Flucht aus der als krisenhaft wahrgenommenen Gegenwart in eine scheinbar heile Vergangenheit.
Was es aber tatsächlich bedeuteten konnte, in der DDR zu leben, zeigte den Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 9 (G8), 10 und Q3, die sich im aktuellen Schuljahr mit der DDR-Geschichte beschäftigen, am 19.10.2018 Siegfried Wittenberg auf.
Herr Wittenburg, der zum zweiten Mal das Domgymnasium besuchte, wurde 1952 geboren und ist in Rostock-Warnemünde aufgewachsen. Er hat das Leben in dieser Zeit beobachtet und vor allem mit Fotos dokumentiert. Aufgrund seiner kritischen Haltung zur Obrigkeit ist er mehrfach mit den Organen des SED-Staates in Konflikt geraten und hat diverse Nachteile hinnehmen müssen. Er ist heute eine renommierter Autor, Künstler und Fotograf, der vor dem Hintergrund seiner eigenen Biografie den Alltag in der DDR und die friedliche Revolution von 1989 zu seinem Gegenstand gemacht hat.
Mit seinem anschaulichen Fotovortrag in der gut gefüllten Schulaula vermittelte der Referent einen Eindruck vom Leben in der Utopie des „Arbeiter- und Bauernstaates“, der seinen Bürgern das Paradies versprochen, aber stattdessen Mangel und Unterdrückung gebracht hat. So zeigte er zum Beispiel das Bild einer hübschen, jungen Dame und ließ es einen Augenblick wirken. Dann erzählte er weiter von diesem begabten, lebensfrohen Mädchen, dass trotz bester Noten kein Abitur machen durfte, weil es aus dem falschen Elternhaus stammte. Wie sie mühsam an der Abendschule ihren Abschluss nachgeholt hat, nur um dann festzustellen, dass es für sie keinen Studienplatz gibt. Wie sie sich zur Flucht entschlossen hat, bereit, alles hinter sich zu lassen, dass repressive System, aber auch ihre Familie.
Die persönliche Note des Zeitzeugenvortrages ließ Geschichte für die Schülerinnen und Schüler anschaulich, lebendig und begreifbar werden, zumal Herr Wittenberg auch immer wieder Gegenwartsbezüge herstellte und so verdeutlichte, dass Demokratie und Freiheit eben keine Selbstverständlichkeit sind und täglich neu erkämpft werden müssen.

Bastian Michel

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