01.11.2018 | Unter dem Titel „Änderung der hessischen Verfassung 2018 – sollen wir die wollen?“ referierte im Vorfeld der Volksabstimmung zur Verfassungsänderung Dr. iur. utr. Carsten Schütz, Direktor des Sozialgerichts in Fulda und ehemaliger Schüler des Domgymnasiums, am 15. und 25.10.2018 vor Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen Q1 und Q3.
In seinem Vortrag verwies Schütz zunächst darauf, dass die am 01.12.1946 in Kraft getretene hessische Landesverfassung vor allem die Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus fokussiert und insofern die Rolle des Volkes gegenüber Politikern gestärkt habe. Nach Art. 123 Abs. 2 HV bedarf es für Verfassungsänderungen neben der Zustimmung des Landtags auch der Zustimmung des Volkes. Dies stelle – so Schütz – eine relativ hohe Hürde für Veränderungen dar und mache die Landesverfassung durch ihre Inhalte und Intentionen quasi zu einer Art „Zeitzeugin“ der hessischen Nachkriegszeit.
So habe es in der Zeit von 1946 – 2018 nur acht erfolgreiche Änderungsgesetze zur Landesverfassung in sechs Abstimmungen gegeben. Im Gegensatz dazu sei das Grundgesetz im gleichen Zeitraum 62-mal per Gesetz verändert worden, was Schütz vor allem darauf zurückführte, dass die Landesverfassung gegenüber dem Grundgesetz deutlich weniger weitreichende Wirkung besitze, bei Grundgesetzänderungen aber auch das Volk nicht befragt werden müsse. Ein wesentlicher Grund für die untergeordnete Rolle der hessischen Verfassung in der Normenhierarchie fasse der kürzeste Artikel des Grundgesetzes, Art. 31, mit seiner Aussage „Bundesrecht bricht Landesrecht.“ zusammen.
Ausgehend von diesen Aspekten klassifizierte der Referent im Weiteren die zur Abstimmung stehenden 15 Änderungsgesetze zur Landesverfassung. So bewertete Schütz etwa die vorgeschlagene Ergänzung des Art. 1 HV (staatliche Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern) mit dem Verweis auf die ähnlich lautende und in der Normenhierarchie höher stehende Formulierung des Art. 3 Abs. 2 GG als „ideenlos, überflüssig, schadet aber auch nicht“.
Als „politisch sinnvolle Botschaft“ hingegen qualifizierte Schütz beispielsweise das Bekenntnis zur europäischen Integration, wenngleich dies de facto im politischen Alltag vermutlich wenig ändere. Auch der Vorschlag zur Veränderung des Artikels 124 HV (Stärkung der Volksgesetzgebung) wurde von ihm der Kategorie „Sinnvolles“ zugeordnet, weil – so Schütz – Volksbegehren zur Einbringung in den Landtag von viel weniger Unterstützern zwar in Gang gebracht werden könnten, eine aus der möglichen Ablehnung des Volksbegehrens durch den Landtag resultierende Volksabstimmung aber nun einer breiteren Mehrheit bedürfe als bislang. Dies wiederum reduziere die Einflussmöglichkeiten meinungsstarker Minderheiten.
In die Kategorie „überflüssig, aber mit Potenzial zur Wundertüte“ ordnete Schütz dagegen die vorgeschlagenen Ergänzungen zum Art. 26 HV (Nachhaltigkeit, Infrastruktur, Kultur, Ehrenamt und Sport) ein: Diese seien zwar sehr abstrakt formuliert, niemand könne aber sagen „ob jemand etwas daraus macht“, so der Referent. Als Fazit am Ende seines unterhaltsamen und informativen Vortrags betonte Dr. Schütz, dass es eine großartige Idee und besondere Sache sei, dass man Menschen in die Rolle von Gesetzgebern versetze und sie über eine nunmehr 72 Jahre alte Erbschaft abstimmen lasse. Schade sei nur, dass die größte Verfassungsänderung in der Geschichte Hessens vermutlich im medialen Interesse am Ausgang der parallel stattfindenden Landtagswahl weitgehend untergehen werde.
Holger Götz