Anthony Richards von den Common Players, UK, spielt Shakespeare mit der Jahrgangsstufe 10
In nur 90 Minuten vollzieht sich der Wandel von zunächst etwas schüchtern im Raum herumstehenden Jugendlichen zu jungen Menschen, die offenbar gerne und voller Emotionen Shakespeare spielen. Ein kleines Wunder ereignet sich im E-Pavillon oder Kulturkeller, je nachdem, wo die entsprechende 10. Klasse am 18. oder 28.März 2025 auf Anthony Richards trifft.
Anthony spricht kein Wort Deutsch. Wer mit ihm arbeitet, muss Englisch sprechen oder sich mittels Gestik und Mimik verständigen. Aktuell gastiert er in Fulda und bot seinen Workshop exklusiv an unserer Schule an, in dem er sich theatraler Techniken von Michael Tschechov bedient. Tschechov (Anton Tschechovs Neffe) ließ auf der Bühne Figuren entstehen durch das pure Nachempfinden einer psychologischen Situation.
Am Anfang spielt sich das noch leicht. Schau dein Gegenüber an. Findet einen gemeinsamen Rhythmus, in dem ihr gemeinsam zählt: „One – two – three, one – two – …“, schneller, langsamer, schneller. Dann ersetze „One“ durch Klatschen, später „Two“ durch Aufstampfen, schließlich „Three“ durch die unfassbar peinliche Imitation eines gackernden Huhns. Eines richtig gut imitierten Huhns. „Give me your chicken“, „Be the chicken!” Das ist schon nicht mehr so einfach. Schließlich will man sich nicht vor allen vollkommen unmöglich machen.
Aber das ist letztendlich das, wofür Theater schon immer stand: für die Überwindung der eigenen Scheu, für den Mut, die eigenen Schwächen zu zeigen. Der Rest ist dann nur noch ein (Kinder-)Spiel.
Wie sieht es aus, wenn wir voller Hoffnung sind? Show me your expression when you feel hope. And how does it feel when you are disappointed? Or when you feel loved?
Dass sich Fünfzehn- oder Sechzehnjährige darauf einlassen, voreinander so verletzlich zu wirken, will schon etwas heißen. Natürlich wird das nicht jede einzelne Person zulassen, aber im Raum entsteht eine Aura des Respekts. Plötzlich ist es kein Problem mehr, in immer wieder neuen Kombinationen aus Jungen und Mädchen spielfähige Teams zu bilden.
Am Ende spielen wir noch eine Adaptation von Shakespeare’s „The Tempest“. Ein Bruder wurde verstoßen, in einem Sturm im Meer ausgesetzt. Er hat es sicher nicht überlebt. Doch wie nun leben mit dieser Schuld? Show me: guilt. Wie ist es, wenn wir wissen, dass wir etwas Übles getan haben und nun versuchen, diese Erkenntnis mit der Kraft der Verdrängung im Zaum zu halten?
Ganz losgelöst von dem üblichen Englischunterricht schreien sich plötzlich im Raum zwei Verzweifelte an: „No, it was your fault.“ – „No yours!“ – „No yours….“
Man schaut zu und wird das Gefühl nicht los, dass hier vielleicht etwas zur Entfaltung gekommen ist, das man dieser Tage nicht häufig sieht… Show me: Truth.
Wir danken Anthony Richards für den inspirierenden Workshop und dem Förderverein des Domgymnasiums für die finanzielle Unterstützung. Am liebsten möchte man nun das ganze Stück entwickeln. Einige Talente wurden auf jeden Fall sichtbar.
Constanze Schneider